Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Fridrich, sehr geehrte Frau Bürkner, sehr geehrter Herr Martin, sehr geehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderates, sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung, sehr geehrte Damen und Herren.
Wir leben mitten in einem großen Transformationsprozess, vermutlich größer als die industrielle Revolution des vorletzten Jahrhunderts. Er umfasst alle Gesellschaften dieser Welt, alle Gesellschaftsschichten und die allermeisten der Berufe bzw. Erwerbstätigkeiten. Unsere Zukunft wird in jedem Fall neu gestaltet, mit oder ohne uns. Wir bemerken, dass die Erde massiv einen sorgsamen Umgang mit ihr einfordert. Wenn wir das missachten, kann sie uns leicht die Lebensgrundlagen entziehen. Die letzten Jahre brachten apokalyptische Situationen wie im Ahrtal, Bränden und Überschwemmungen in Südeuropa und der ganzen Welt hervor und davon wird es in Zukunft mehr geben. Auch deßhalb müssen wir uns weiterhin und massiver anstrengen, um diese zu minimieren oder zu vermeiden. In Nürtingen fällt darunter unter anderem der beschlossene Hochwasserschutz. Und wenn wir ́s mit unseren eigenen Ideen und Plänen nicht so recht schaffen, hilft uns vielleicht die mit Argwohn betrachtete so genannte „künstliche Intelligenz“. Die ist natürlich eine Riesen- Herausforderung.
Sie wird partiell unliebsame oder gar gefährliche Seitensprünge machen, aber mit Verantwortung angewandt wird sie uns in vielen Bereichen sehr nützlich sein. Was wird uns nun die Zukunft bringen? Sie ist für uns Normalbürger schwer fassbar, sie ist eine Unbekannte. Unbekanntes erzeugt Misstrauen oder gar Furcht. In allen Generationen vor uns war ebenfalls Misstrauen, Furcht und Angst vor der Zukunft zu Hause. Und wenn wir deren Zukunft jeweils in der Retrospektive betrachten, war sie meist besser als befürchtet. Das letzte Jahrhundert mit seinen zwei Weltkriegen war da eine katastrophale Ausnahme. Das wollten wir nie wieder erleben, doch gewissenlose Diktatoren und Terroristen zwingen uns leider wieder solche Bilder auf. Daher ist es geboten, daß alle demokratischen Kräfte einer Gesellschaft eine konstruktive Streitkultur leben mit dem Ziel, das Bestmögliche zu erreichen.
Ich hatte vorher gesagt, die Zukunft werde mit und ohne uns gestaltet. Dann doch lieber mit uns. Die Bilanz des Erreichten in den vergangenen vier Jahren, die der OB in seiner Haushaltsrede dargestellt hat, lässt sich sehen und ist ein Beleg dafür, dass wir in Nürtingen- Verwaltung und Gemeinderat- Projekte umsetzen und damit auch Zukunft gestalten können. Die Gestaltungsräume sind allerdings sehr begrenzt durch die finanziellen Mittel, die uns dafür zur Verfügung stehen. Große Aufgabe stehen vor uns, die eigentlich alle zügig abgearbeitet werden sollten. Maßnahmen zur Klimaanpassung, PV-Ausbau, Verkehrswende mit Anpassung der Verkehrsinfrastruktur, hier sei insbesondere auf die dringend notwendige Verbesserung des Zustandes des ZOB hingewiesen, inklusive einer stets zur Verfügungstellung einer öffentlichen Toilettenanlage auf diesem Gelände, Sanierung und Erweiterung von Schulen, Kitas und anderen städtischen Gebäuden, Schaffung von Wohnraum aller Preisklassen für Wohnungssuchende, Obdachlose und Geflüchtete, Erweiterung der Kläranlage, Breitbandleitungen legen, und, und, und.
Unter diesen vielfältigen Aufgaben zu priorisieren, halten wir für richtig, auch wenn innerhalb des Gemeinderats unterschiedliche Schwerpunkte bei der Priorisierung gesetzt werden. Da müssen wir in fairen Prozessen gute und tragfähige Lösungen für Nürtingen finden. Klar ist für uns- da wiederholen wir unsere Position vom letzten Jahr- der Klimaschutz und die Nachhaltigkeit müssen erste Priorität sein. Die Notwendigkeit dafür ist in den letzten 12 Monaten noch viel deutlicher geworden. Die kürzlich diskutierte PV-Ausbaustrategie ist ein wichtiges Element. Für 2024 werden das fortgeschriebene Klimaschutz- sowie ein Klimaanpassungskonzept und die bald zu verabschiedende Wärmeplanung mit zielorientierten Maßnahmenpaketen kommen. Das ist gut! Die Kommunalverwaltung muss hier ihren Betrag leisten. Aber was auch ganz klar ist, ohne die Mitwirkung der Nürtinger Bürgerschaft und Unternehmen gibt es keine Klimaneutralität und auch keine umfassende Klimaanpassung. Hier muss jeder seinen angemessenen Beitrag leisten, auch künftige Generationen werden hier gefordert sein. Somit ist ganz klar, daß Bildung und gute Ausbildung für alle jungen Menschen in einem intakten Schulsystem gegeben sein muß. Nur so können Eigenverantwortlichkeit, gesellschaftliche Verantwortlichkeit und zukunftsgerichtetes demokratisches Handeln erreicht werden. Nachhaltigkeit bedeutet Pflege und Instandhaltung bestehender Einrichtungen. Bei Neuprojekten müssen die Folgekosten dafür ebenfalls eingepreist werden. In dieser Priorisierung hoffen wir auf einen weitgehenden Konsens im Gemeinderat. In ihrer Haushaltsrede hat Frau Sautter uns einen Konsolidierungsprozess vorgeschlagen, auf dem Nürtingen einen dauerhaft ausgeglichenen, zukunftsfähigen Haushalt wird aufstellen können. Ihr und dem Team der Kämmerei möchten wir an dieser Stelle für ihre nicht nur sorgfältige, sondern auch vorausschauende Arbeit herzlich danken.
Nürtingen wird das sehr gut tun, denn es wird einfach durch effektivere Planung mehr Luft im Haushalt geben und damit auch bessere Gestaltungsmöglichkeiten. 2024 ff werden wir im Ergebnishaushalt statt eines blauen Himmels Regenwolken, aber Gott sei Dank keine Gewitterwolken sehen. Im Finanzhaushalt werden wir zur Erfüllung unserer Aufgaben in 2024 noch Kredite in Anspruch nehmen müssen. Danach werden Investitionen voraussichtlich aus eigener Kraft möglich sein. Ursachen, die einem ausgeglichenen Haushalt derzeit entgegenstehen hat Frau Sautter ausführlich erörtert. Dem ist leider nichts hinzuzufügen. Um so wichtiger ist der angesprochene Konsolidierungsprozess. Mit ihm sollte es gelingen, nicht nur effektiver und angepasster zu planen, sondern auch mehr Unabhängigkeit von externen Faktoren zu erreichen. Der Haushalt 2024 kommt mit einer Verschuldung von 52,3 Mio. € aus. Das sind ca. 22 Mio.€ weniger im Vergleich zum Vorjahr. Das ist erfreulich, aber kein Aufruf, die Schuldengrenze anzusteuern. Im Investitionsplan finden wir Positionen, die wir nicht priorisieren würden wie z.B. Straßensanierungen im Zuge von Leitungsbau der Stadtwerke, nur weil in der reinen Gewerbestraße 2 kleine bis mittlere Schlaglöcher sind. Da scheint uns Aufwand und Wirkung in keinem günstigen Verhältnis. Wenn die Stadtwerke eine Straße auf- und wieder zumachen, sind das deren Kosten, durch die überdies ein Teil der Straße in den Zustand 2 oder 1 angehoben wird. Die Löcher könnten durch die Stadt geflickt werden, dann hat die ganze Straße mindestens den Zustand 3. Die Straßenbauer werden vielleicht über diese schwäbisch sparsamen Ratschläge schmunzeln. Aber irgendwo muss man mit sparen anfangen und auch mit einem Ranking unterhalb des Top- Zustandes einer Straße zufrieden sein. Im Hinblick auf die Entlastung der Rümelinstraße soll nochmal die Durchfahrtmöglichkeit über den Säer aufgegriffen und ggf. mit dem Landkreis neu verhandelt werden.
Wir streben eine autofreie Innenstadt an, in die nur noch Anlieger, Einsatzfahrzeuge, Taxis einfahren können sowie Lieferverkehr mit zeitlicher Einschränkung. Dies wird der Belebung der Innenstadt durch Erhöhung der Aufenthaltsqualität dienen. Dafür brauchen wir als Voraussetzung ein Parkraum- management. An der neu gestalteten östlichen Kirchstraße werden wir den
Zugewinn an Aufenthaltsqualität erkennen können, wenn Autos Sitzbänken und Bäumen gewichen sind. Die zusätzliche Begrünung und Entsiegelung sind typische „Schwammstadt“, also Klimaanpassungsmaßnahmen. Davon benötigt Nürtingen mehr, deßhalb beantragen wir zusätzliche Entsiegelungs- und Begrünungsmaßnahmen im Innenstadtbereich. Natürlich sind mit Klimaschutz und Anpassung Investitionen verbunden, aber die Maßnahmen sind direkt
wirtschaftlich, wie Umstellung auf LED Straßenbeleuchtung, vermehrte PV- Eigenstromnutzung und vermeiden dadurch zukünftige größere Klimafolgeschäden und deren Kosten. Beim Thema Wärme benötigen die Hausbesitzer dringend ein gezieltes Informations- und Beratungsangebot zum Einsatz Erneuerbarer Energien sowie passend umsetzbarer Energieeinsparungsmaßnahmen für ihre jeweiligen Häuser. Dafür beantragen wir Gelder, ebenso für das Themengebiet Klimaanpassung. Bereits vor mehr als 2 Jahren wurde durch SSP Consult eine Parkraumanalyse für die Innenstadt, den Säer/Kissling und die Kirchheimer Vorstadt erstellt. Seither ist leider nicht erkennbar, dass die hier gewonnen Erkenntnisse in eine entsprechende Verkehrsplanung oder ein Parkraum Management Eingang gefunden haben. Hier bitten wir um einen Sachstandsbericht sowie die Weiterentwicklung der Planung für eine autofreie Innenstadt und ein Parkraummanagement für die vorgenannten Stadtteile. Wer weniger Autos in der Innenstadt möchte, muss attraktive Alternativen anderer Verkehrswege bieten. Neben dem von unserer Stadt wenig beeinflussbaren ÖPNV sind das die Radwege.
Überregional, also zwischen den Kommunen müssen das schnelle Trassen von mindestens 2,5 m Breite sein, wenn sie von Fußgängern mitbenutzt werden. Sie müssen feste Beläge haben. Diese interkommunalen Radwege müssen gut erkennbar an das örtliche Radwegenetz angebunden sein. Wechsel eines Radweges von einer Fahrbahnseite zur anderen sollte vermieden werden. An innerstädtischen Kreuzungen dürfen Radfahrer und Fußgänger nicht länger an Ampeln warten müssen als Autofahrer. Nach wie vor fordern wir die Realisierung der zweiten Fahrradstraße in Nürtingen, der Kalkoferstraße. Sie soll eine weitere Ausbaustufe der Ost- West Achse für Radfahrer sein. Sie ist notwendig, weil die Alternative Kirchheimer Straße ohne Radstreifen und damit für Radfahrer gefährlich ist. Wir sind sehr neugierig auf die Pläne unseres Radbeauftragten und wären gerne frühzeitig in seine Pläne einbezogen. Bei der Schaffung von Wohnraum tut sich etwas in Nürtingen. Es ist nicht viel und kann leider den aktuellen Bedarf nicht erfüllen. Die Container- Notunterkunft kann in Kürze bezogen werden. Die Gebäude im Wasen und die Unterkünfte im Wasserfall sind im kommenden Jahr bezugsfertig, möglicher Weise auch die 2 Häuser in der Grötzinger Straße. Noch einmal möchten wir an dieser Stelle Nürtinger Bürgerinnen und Bürger aufrufen, leerstehenden Wohnraum der Vermietung zuzuführen. Er wird dringenst gebraucht. Die momentane Zurückhaltung im Wohnungsbau tangiert uns in Raidwangen, wo sich derzeit keine Investoren für den geplanten Geschosswohnungsbau finden, was auch den Bau der dahinter liegenden Einfamilien- und Reihenhäuser blockiert. Um dem Nachholbedarf beim Wohnungsbau etwas Schub zu verleihen, halten wir die Gründung einer Stadtentwicklungsgesellschaft für einen guten Weg, um zu einer konzertierten Bautätigkeit zu kommen. Dies sollte möglichst zeitnah geschehen, um am Ende der Krise auf dem Wohnungsbaumarkt in den Startlöchern zu stehen. Mit der Bereitstellung von Wohnungen für Obdachlose und Geflüchtete sind wir am Limit.
Wir sind froh, dass wir diese Menschen nicht in Turnhallen oder Zelten unterbringen müssen, sondern ihnen regelgerechten, wenn auch einfachen Wohnraum und jetzt auch Betreuung anbieten können. Dass wir einen weiteren Zustrom von Menschen in bisherigen Größenordnungen kaum verkraften können, liegt auf der Hand. Was Ehrenamtliche und Verwaltungsmitarbeitende in der Flüchtlingsarbeit leisten, ist großartig. Ihnen allen danken wir herzlich für ihr tolles, menschliches Engagement, das auch von Respekt vor den geflüchteten und obdachlosen Menschen zeugt. Nürtingen wäre ohne sie ärmer. Die Bundesregierung schafft nun Möglichkeiten, zum einen den Zuzug von Menschen zu regulieren und die Rückführungsquote von Menschen ohne Bleiberecht zu erhöhen und Menschen mit Bleiberecht den Weg in die Erwerbstätigkeit zu ebnen. Für diejenigen, die zurückgewiesen werden, zerplatzt ein Traum von selbstbestimmtem Leben mit einer persönlichen Perspektive. Sie werden sehr unterschiedlich auf das Schicksal ihrer Ausweisung reagieren. Sie verdienen nach wie vor einen respektvollen Umgang und ich bin überzeugt: auch eine Ausweisung kann human und mit Achtung der Menschenwürde geschehen. Wir tun uns nach wie vor schwer, Menschen die Tür zuzuschlagen, die nichts anderes möchten als dem Elend ihrer Heimat, dem Hunger und der Perspektivlosigkeit zu entkommen. Nach wie vor genießen alle verfolgten Menschen unser Grundrecht auf Asyl. Es entsetzt, wenn führende Politiker einer Volkspartei empfehlen, sich Gedanken über dieses Grundrecht zu machen. Auf gar keinen Fall kann das Grundrecht auf Asyl und die Verfassung angefasst werden. Damit würde leichtfertig eine Errungenschaft über Bord geworfen, die wesentlich dazu beitrug, dass sich unser Land zu einem humanitären, demokratischen Staat entwickeln konnte. Was danach käme, mag ich mir nicht vorstellen.
Für unsere Zukunft ist es unabdingbar erforderlich, daß wir hier in Nürtingen weiterhin alle Anstrengungen unternehmen, um gemeinsam im Rahmen unserer Möglichkeiten und auf Basis eines respektvollen demokratischen Miteinanders zum Wohle der gesamten Bürgerschaft arbeiten.
Vielen Dank!